Hängen geblieben…
0700 Tagwache. Heute wäre ich um Nichts in der Welt früher aufgestanden. Langsam aber sicher setzt mir der Urlaubsmodus echt zu. Um 8 Uhr will uns Mischa zum Frühstück bringen und danach gleich nach Prypjat fahren. Gesagt, getan gingen wir frühstücken und fuhren los nach Prypjat. Dort angekommen, liefen wir als erstes in die Schule mit dem Gasmasken am Boden. In der ehemaligen Kantine liegen hunderte Gasmasken auf einem Haufen. Einige ihrer Klassenzimmer sind noch recht gut erhalten und haben an den Wänden Bildern von Stalin, Lenin und Co und auf den Tischen stehen teilweise noch ihre Experimente aus dem Physik oder Chemie Unterricht. Wieder musste Hannes für den Smiley oder die Rabenmaske herhalten und wieder stellten wir Mischa vor große Herausforderungen. Er hatte sicher noch keine Gruppe, die so schräge Sachen gemacht hat, wie wir. Trotzdem haben wir sehr viel Spaß mit Mischa. Er ist ein sympathischer Kerl, der auch wirklich etwas im Kopf hat. Seine Freundin dürfte er richtig gern haben, denn er hat sie unter „my life“ in seinem Tablet, mit dem er die ganze Zeit telefoniert, gespeichert. Die Schule, sowie auch die meisten anderen Gebäude hier, zerfallen langsam vor sich hin. An den Wänden sieht man überall interessante Texturen, durch die abblätternde Farbe. Weiter ging es zum großen Hotel am Hauptplatzt, wo wir hinauf in den gefühlt 10 Stock stapften. Hier sahen wir uns ein paar Räume mit Stauden darin an – die Natur holt sich halt langsam wieder alles zurück. Von oben hat man eine sehr gute Aussicht. Trotzdem hat das Gebäude nichts mehr zu bieten.
Nun ging es in die Klinik. Diesmal kam unser Führer mit uns mit und zeigte uns, von oben nach unten, die besten Räume. Es gab Operationssäle mit großen Deckenleuchten oder einfach nur Zimmer, mit alten Betten oder auch noch Bäder mit Badewanne. In einigen Räumen machten wir Fotos mit unseren Masken und waren sonst schwer beschäftigt Texturen zu fotografieren. Hier könnte man wochenlang Sachen machen. In der Lobby des Krankenhauses zeigte uns Mischa auf einem Tisch ein Stück Stoff und meinte, wir sollten es mit dem Geigerzähler messen. Sofort ging der Wert über 700 Mikrosievert. Es war ein Stück Stoff einer alten Militäruniform. Der Fetzen stammte von einem Kleidungsstück eines der ersten Männer, die an der Unglücksstelle waren. Diese wurden in der ersten Nacht sofort in das Krankenhaus gebracht. Dort wurden ihre Kleider und Uniformen im Keller zwischengelagert. Aus dem Zwischenlager wurde ein Endlager. Immer wieder versuchen Touristen in diesen Keller zu kommen. Fast alle Eingänge wurden mittlerweile mit Sand und Beton verschlossen. Es gibt aber immer noch geheime Gänge, durch die man in den Keller kommen könnte. Leider gibt es auch noch genug Idioten die das wollen. Einer von ihnen hat anscheinend das Stück Stoff in die Aula gelegt. Im Keller geht die Strahlung teilweise auf den mehr als 10.000 fachen Normalwert. Bei unserem Stück war es ungefähr der 4000 fache Wert. Es ist wirklich gemein, dass man Strahlung weder sehen noch riechen kann. Noch bedenklicher, als die Strahlung, die von dem Stoff ausgeht, finde ich die Partikel, die noch auf dem Stoff haften. Der Mann, der die Uniform getragen hat, hat die ersten 14 Tage nach der Explosion des Reaktors nicht überlebt… alle, die an dem Tag des Unglücks ins Krankenhaus kamen, sind innerhalb dieses Zeitraums an der Strahlenkrankheit gestorben.
Bei einem der Räume war ein Türschild komplett locker, ich griff es an und hatte es in der Hand. Da Thomas schon in der Jupiter Fabrik gerne ein Schild abmontiert hätte, wollte ich es ihm geben. Er hatte aber etwas Schiss es mitzunehmen. Außerdem war das Ding aus Glas, was mir dann auch zu gefährlich war. Das hätte den Transport vermutlich nicht überlebt.
Auf zum Mittagessen in die Werkskantine. Wie könnte es anders sein, es gab Stocherkraut. Danach versuchten wir mit Mischa ein Fotostudio zu buchen – für unser Fotoshooting, am Samstag, benötigen wir dringend ein Fotostudio. Alina, eine Helferin, die Petra zugelaufen war, brachte mehr Chaos in die Truppe, als sie half. Irgendwie ging mir die Tussi langsam auf den Wecker. Wir riefen einige Studios an und landeten überall, trotz der korrekten Öffnungszeiten, auf dem Anrufbeantworter. Irgendwie gelang es uns doch eine Reservierung abzuschicken. Ich bin gespannt was das am Samstag werden wird. Wieder zurück in der Stadt fuhren wir zuerst zu den Kränen am alten Lasthafen. Natürlich mussten wir auf einen raufsteigen. Mischa sagte schon nichts mehr, sondern verdrehte nur leicht die Augen. Die Aussicht von oben war zwar gut, unsere erhofften Bilder konnten wir aber trotzdem nicht machen, weil die Location einfach nicht passte.
Weiter ging es zum Kühlturm… zu Fuß, Bahngleise und dann durch einen kleinen Wald kamen wir im Turm an. Drinnen wollten wir beim Graffiti Fotos mit der Rabenmaske und dem Smiley machen. Thomas war fasziniert von dem halbfertigen Monster und erklärte uns die Technik, die dahinter steckte. Nun war ich von den Dimensionen des Turms noch beeindruckter. Im vorderen Bereich lag ein Stück vom Gerüst am Boden. DerKühlturm war ja nur zu zwei Drittel fertig gestellt und auf den obersten rund 10 Metern war Innen und außen noch das Gerüst für den Bau des Turmes vorhanden. Auf meine Frage, ob denn öfter etwas vom Gerüst runter falle, meinte Mischa, in 15 Jahren ist nur ein kleines Stück runtergefallen – und deutete auf das am Boden liegende Gerüstteil. Kleines Stück? Das Trum ist so groß wie ein Doppeldeckerbus!
Als nächstes stand der Kindergarten am Programm. Dort waren einige Räume noch mit Betten und Spielzeug eingerichtet und es war wirklich eine Goldgrube für Fotografen. Thomas verliebte sich in die Türknäufe, traute sich aber nicht einen mitzunehmen. Ach Mist, jetzt bin ich hängen geblieben – schon hatte ich einen der Knäufe, die aus Glas gemacht warn und echt cool aussehen, in der Hand. OK. Ich hab ihn gepackt und kräftig daran gerissen – wäre doch gelacht, wenn ich das Ding nicht von der Tür bekommen würde.
1800… letzter Stopp in Prypjat… 16. Stock, eine Etage über dem Trockenhund… wir shooteten Petra im Plastikkleid. Der Wind war so stark, dass es ihr das Kleid langsam in Fetzen riss. Aber das Licht passte perfekt… Wieder zum Auto und nach Tschernobyl, Abendessen und dann zum Geschäft – Bier und Knackwürste für die Hunde kaufen… Wie viele willst du? Alle… Die Hunde drehten fast durch, als sie die Würste bekamen… Die Dicke, die immer unter unserem Tisch lag, bekam nichts, weil ich die Würste diesmal 10 Meter in die Wiese warf und sie zu langsam war. Sie klaute die Wurst aber kurzer Pfote aus dem Maul der anderen Hunde… Die ist echt ein bissiges Luder…
Bier fertig trinken, noch etwas quatschen und schlafen gehen… ich bearbeite noch etwas die Bilder und schon wieder ist es 0100…
Gute Nacht liebes Tagebuch…